Aktuell und ungeschönt: Kanalsystem und gemeindliche Gebäude während des Jahrhunderthochwassers
Warum kam es zum gefährlichen Rückstau im Kanalsystem in Kissing? Wie konnte trotz alledem das Schlimmste abgewendet werden? Das liegt an gleich mehreren Faktoren.
Kissing ist nur ein Teil im „Gesamt-Räderwerk“ Abwasserbeseitigung der Region. Abwasserbeseitigung bezeichnet den Weg des Abwassers von dort, wo es anfällt bis zur Abwasserbehandlung, und die Rückführung des behandelten Wassers in den natürlichen Wasserkreislauf. Wasser darf man nicht „einfach so“ in einen beliebigen Kanal oder eine Wiese einleiten. Damit das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird, ist die Rückführung im deutschen Wasserrecht streng geregelt.
Die Abwasserbeseitigung umfasst mehr als das Sammeln und Fortleiten durch die Kanalisation. Sie beinhaltet auch das Behandeln, Einleiten, Versickern, Verregnen und Verrieseln von Abwasser. Hinzu kommt das Entwässern von Klärschlamm und das Beseitigen des in Kleinkläranlagen anfallenden Schlamms usw. Kissings Kanalsystem ist also ein Teil des Ganzen.
1. Das Kissinger Kanalsystem
Damit das Wasser in Kissing zuverlässig fließt, setzt sich das Kanalsystem der Gemeinde aus Pumpstationen, Pumpen, Rohren, Kanälen und Hauptkanälen, den sogenannten Sammlern, zusammen. Die Sammler gehören zu verschiedenen Zweckverbänden. In Kissing geht der Sammler des Zweckverbands zur Abwasserbeseitigung Obere Paar (AWOP) am Schwabhof in den Kanal des Abwasserverbandes Wirtschaftsraum Augsburg-Ost.
Kanal und Pumpstationen
Alle Pumpstationen im Ortsbereich haben die Aufgabe das Wasser aus dem Kanal in den AWOP-Sammler zu pumpen. Dazu müssen die Pumpen sorgfältig aufeinander abgestimmt sein. Dass alle Pumpen des Kanalsystems einer Gemeinde zuverlässig arbeiten, ist im Normalfall erheblich wichtig, im Katastrophenfall (über-)lebensnotwendig. Während des Jahrhunderthochwassers im Mai/Juni 2024 arbeiteten alle Pumpen zuverlässig, mehr noch: Sie leisteten ununterbrochen Schwerstarbeit.
Dass keine Pumpe während des Jahrhunderthochwassers ausfiel, war kein Glücksfall: Das gesamte Pumpensystem wird derzeit Schritt für Schritt erneuert. Eine derartige Erneuerung muss man sich als kontinuierlichen Prozess vorstellen, in dem eine Pumpstation nach der nächsten saniert wird. 2023 war die Pumpenstation Buchenstraße, ein Bauwerk aus den 60er Jahren, an der Reihe. Damit in der Zwischenzeit auch die „alte“ noch nicht erneuerte Pumpentechnik reibungslos arbeitet, hat Kissing einen Wartungsvertrag abgeschlossen. So werden alle Pumpen regelmäßig gewartet.
Kissing – letztes Glied im Kanalsystem
Trotz gut funktionierender Pumpen kam es aber zeitweise zum Rückstau im Kanalsystem in Kissing. Woran das lag? Im genannten AWOP-Sammler befand sich so viel Wasser, dass dieser nicht mehr so aufnahmefähig war. Es bildete sich ein Rückstau, mit all seinen bekannten Folgen. Warum sich dieser ausgerechnet in Kissing bildet, wird schnell klar, wenn man die Lage der Gemeinde betrachtet:
Kissing liegt an letzter Stelle der Orte, die nacheinander in den AWOP-Sammler einleiten. Das bedeutet, dass vorher schon reichlich Wasser gesammelt wird – bei Hochwasser natürlich entsprechend viel mehr in kürzester Zeit.
Zudem findet auf Höhe des Schwabhof eine Verjüngung statt, um die Einleitung in den Kanal des Abwasserverbandes Wirtschaftsraum Augsburg-Ost zu begrenzen. Um diese Engstelle drehten sich dann schon sehr früh die Gespräche, die der Kissinger Bürgermeister Reinhard Gürtner noch am 5. Juni mit der Stadt Augsburg aufnahm, denn – wie eingangs erwähnt – darf Wasser nicht „einfach irgendwo“ abgeleitet werden, selbst nicht in Notfällen.
Verhandlungen und Bypass bewahren vor Kollaps
Für schnelle Lösungen im Katastrophenfall sind gute Kontakte zu den Nachbargemeinden und der Stadt Augsburg Gold wert. Kurz nach Bekanntwerden der Verjüngung auf Höhe des Schwabhofs konnte unser Bürgermeister, Reinhard Gürtner, mit der Stadt Augsburg vereinbaren, dass Kissing mehr Wasser in den Kanal des Abwasserverbandes Wirtschaftsraum Augsburg-Ost einleiten darf. Das gelang über einen sogenannten Bypass. So wurde das Wasser vor der Engstelle am Schwabhof abgepumpt und nach der Engstelle wieder einpumpt.
Das war mit ein Grund, warum zwar Rathaus und das Bürgertelefon des Landratsamtes telefonisch rund um die Uhr erreichbar war, der Bürgermeister aber zeitweise nicht: Er und sein Team verhandelten, koordinierten und verhinderten das Schlimmste im Hintergrund.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Dank schnellstmöglicher Umleitung konnte der Zusammenbruch des Kissinger Kanalsystems verhindert werden.
2. Viele Ursachen, viele Lösungen
Allgemein gibt es viele Wege und Gründe, wie Wasser ins Kanalsystem gelangt: Über die Hausanschlüsse, durch Oberflächenwasser, durch hohes Grundwasser oder auch durch kleine Schäden am Kanal im Straßenbereich oder auf dem Grundstück der Eigentümer. Denn das Kanalsystem beginnt am einzelnen Haus. Bis zum Revisionsschacht auf dem Grundstück gehört es zu den Aufgaben der Hauseigentümer, den Kanal frei zu halten. Ab dem Revisionsschacht übernimmt die Gemeinde.
Ursache 1 – unser Kanalsystem
Das Kissinger Kanalsystem wird regelmäßig überprüft – ein ständig laufender Prozess. Zusätzlich wurde schon vor fünf Jahren der Maßnahmenplan zur Sanierung des Kanals entwickelt. Bei der Planung und Sanierung wird die Gemeinde Kissing dabei durch Experten, wie Ingenieurbüros unterstützt. Nicht nur die Pumpenstationen, auch die Kanäle konnten so bereits saniert werden. Es wird jedoch noch eine Weile dauern, bis alle Kanäle von Kissing komplett saniert sind.
Im Altort finden derzeit so genannte Kamera-Befahrungen statt. Mit dieser Technik erkennt man genau, ob und welche Schäden am Kissinger Kanalsystem bestehen. Weil die Kamera-Befahrung nur bis zum jeweiligen Revisionsschacht möglich ist, bittet die Gemeinde die Hauseigentümer, auch ihren Teil der Kanalanschlüsse prüfen zu lassen. Gemeinsam verbessern wir so in Kissing Jahr für Jahr die Situation am und im Kanalsystem.
Ursache 2 – das System passt zum Wasserverbrauch
Neue Technik, anderes Verhalten: Früher war der Wasserverbrauch höher. Da der Schmutzwasseranteil von den Personen verursacht wird, wird er in Deutschland nicht nach der Wohnfläche berechnet. In Kissing gibt es derzeit nur einen geringen Bevölkerungsanstieg, daran wird das Kissinger Kanalsystem angepasst, was im Normalfall völlig ausreicht. Bei in einem Jahrhundert-Hochwasser reicht jedoch auch ein geräumiges Kanalsystem plötzlich nicht mehr aus.
Zum Vergleich: Laut Wasserwirtschaftsamt waren die Grundwasserstände beim Hochwasser im Mai/Juni 2024 waren so hoch wie seit 25 Jahren (Hochwasser 1999) nicht mehr.
Ursache 3 – der Lech
Die Paar flutete Kissing, doch dann drückte das Grundwasser in die Keller. Die Paar-Rückhaltebecken waren Anfang Juni alle voll, doch dieses zurückgehaltene Volumen reichte nicht. Am Pegel Mering-Paarbrücke wurde die Meldestufe 4 weit überschritten. Schuld am hohen Grundwasser trägt, laut Hochwasserschutzgemeinschaft IGHS, weniger die Paar oder das Kanalsystem einer Gemeinde allein. In einem Interview in der Augsburger Allgemeinen Zeitung sieht die IGHS eine wichtige Ursache für die hohen Grundwasserpegel beim Lech und seinen Staustufen und kritisiert, dass der Forggensee, der eigentlich große Hochwasserschutz am Lech, nicht rechtzeitig höher gestaut und damit bürgernah gesteuert wurde.
Link zum AZ-Artikel: www.augsburger-allgemeine.de/friedberg/hochwasser-folgen-in-mering-und-kissing-id71142686.html
3. Die gemeindlichen Gebäude
Nicht nur Höfe und Häuser, auch die Gebäude der Gemeinde litten unter dem Hochwasser. Spätestens als Schulen, Feuerwehr, Wertstoffhof und Rathaus vollliefen und die gemeindlichen Anlaufstellen damit handlungsunfähig zu werden drohten, betraf dies alle Bürgerinnen und Bürger.
Der Hof des Bauhofs und der Feuerwehr waren schnell überflutet, die Wertstoffsammelstelle unzugänglich. Das war schlimm, doch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reagierten schnell: An den Gebäuden von Bauhof und Feuerwehr errichteten sie gemeinsam Hochwassersperren. So ist zwar das Wasser eingedrungen, doch größere Überschwemmungen wurden rechtzeitig verhindert.
Im Rathaus, der Grund- und Mittelschule und der Paartalhalle mit Anbau ist das Grundwasser eingedrungen. Doch ausgerechnet im Keller der Grund- und Mittelschule befinden sich die wichtigen Server- und Technikräume. Hier wurde daher bevorzugt abgepumpt und gesaugt, um den Anstieg im Raum zu verhindern und größere, langfristige Schäden für alle zu vermeiden. Die Sporthallen – Mehrzweckhalle, Paartalhalle und Gymnastikhalle in der Schule – wurden sicherheitshalber gesperrt.
Aktueller Zustand:
- Der Schaden in der Gymnastikhalle der Schule wegen des eingetretenen Grundwassers ist so groß, dass die Halle mindestens bis zum Winter 2024/25 gesperrt sein wird. So lange dauern hier die Instandsetzungsarbeiten.
- Die Mehrzweckhalle musste gesperrt werden aufgrund der Kanalsituation.
- Die Paartalhalle ist erfreulicherweise wieder zur Nutzung freigegeben.
- Der Kindergarten Schatzkiste am Badanger und die Spielarche an der Paartalhalle, die im betroffenen Gebiet liegen, blieben vom Hochwasser verschont.
- Eine Notbetreuung richtete der Kindergarten Schatzkiste aufgrund der Überlastung des Kanalsystems während des Katastrophenfalls ein. Nun läuft der Betrieb wieder normal.
Fazit: Nicht alles lief glatt, doch Schlimmeres konnte gemeinsam verhindert werden!
Ein Schaden ist ein Schaden, da kann nichts schöngeredet werden. Doch wie schnell vergisst man, dass die ganz große Katastrophe, eine komplette Überschwemmung der Gemeinde, verhindert wurde.
Ein großer Dank gilt unserer eigenen und den vielen anderen zur Hilfe geeilten Feuerwehren, den Mitarbeitenden der Verwaltung, der Bauhöfe Kissing und Pöttmes und den vielen Freiwilligen. Sie alle haben in 24-Stunden-Schichten in den gemeindlichen Gebäuden die Keller abgepumpt und abgesaugt. Gemeinsam wurde dafür gesorgt, dass Kissing nicht – wie beispielsweise Gemeinden nord-westlich von Augsburg – evakuiert werden musste.
Wir danken auch den zahlreichen Privatpersonen, die – obwohl nicht vom Hochwasser betroffen – spontan mit anpackten. Manche brachten eigene Pumpen mit, andere wiederum versorgten die Helfenden mit Essen und Getränken.
Danke an die Führungsgruppe Katastrophenschutz (FüGK) im Landratsamt für die Unterstützung und dem Landrat Klaus Metzger für die schnelle Entscheidung, dass in Zusammenarbeit mit der Abfallwirtschaft der entstandene Sperrmüll schnell entsorgt werden konnte.
Unser persönliches Fazit aus dem Rathaus: Wir in Kissing sind eine lebendige Gemeinschaft – und das nicht nur bei schönem Wetter. Danke euch allen!
Auch interessant: Protokoll des Jahrhunderthochwassers
Autorin: Manuela Krämer | Federkunst