Protokoll des Jahrhunderthochwassers

Vom Jahrhundertwasser Ende Mai/Anfang Juni 2024 war unsere Gemeinde Kissing stark betroffen. Was viele nicht wissen: Dank eingespielter Abläufe im Hintergrund konnte Schlimmeres verhindert werden. Doch wie sehen die Abläufe in Kissing im Katastrophenfall aus?

Wie kommt es zum schnellen, unbürokratischen Handeln von Rathaus, Bauhof, Feuerwehr und den – im Übrigen wieder einmal zahlreichen – ehrenamtlichen Helfern? Ab wann kann und darf überhaupt Hilfe von außen, wie andere Gemeinden, die Stadt Augsburg oder weitere Feuerwehren, angefordert werden? Das und mehr zeigt dieser ausführliche Ablaufbericht.

Bild Hochwasser Kissing

Tag 1
Freitag, 31. Mai 2024

Die amtliche Unwetterwarnung vom Deutschen Wetterdienst trifft ein. Das Rathaus trifft sofort zwei Maßnahmen:

  1. Die Bevölkerung wird von der Gemeinde sofort über drei Kanäle informiert, via Homepage, Kissing-App und Push-Nachricht. Zusätzlich fährt die Feuerwehr in der Nacht mit Lautsprechern durch den Ort und warnt die Bevölkerung.
    Neben der Warnung des Deutschen Wetterdienstes gibt das Rathaus den Bürgerinnen und Bürgern von Kissing gleich praktische Handlungsempfehlungen mit Tipps, wo man direkt Unterstützung und Material bekommt.
  2. Gleichzeitig geht die Anweisung an die Mitarbeiter vom Bauhof hinaus, die Pegel zu beobachten und die Pumpen zu überwachen.

In der Nacht kommt es aufgrund starker Niederschläge zu Hochwasser, der Pegel der Paar steigt auf Stufe 3. Daher werden jetzt zum Schutz der Bevölkerung Hochwassersperren im Bereich Meringer Straße / Badangerstraße durch Öko-Tec Schlauchwälle [1] und Sandsäcke [2] eingerichtet.

Tag 2
Samstag, 1. Juni 2024

Bild

Der Pegel der Paar erreicht die Stufe 4. Kissings Bürgermeister, Reinhard Gürtner, beruft den Krisenstab ein. Daraufhin wird schnell und unbürokratisch gehandelt:

9:30 Uhr
  • Das Landratsamt ruft den Katastrophenfall aus.
Ab 11:30 Uhr
  • Das Abpumpen im Bereich Badangerstraße beginnt.
  • Ein Aufruf erfolgt von der Gemeinde Kissing an die Bevölkerung, die Absicherung der Öltanks zu prüfen.
  • Weitere Schlauchwälle werden installiert.
  • Weitere Pumpen werden in der Badangerstraße installiert und – schnell, je nach Bedarf – an andere Stellen verlegt.
  • Ein mobiles Notstrom-Aggregat wird an der Bereitstellungsfläche Badangerstraße / Schulstraße aufgestellt und steht so schon am 2. Tag der Katastrophe für betroffene Bürgerinnen und Bürger bereit.
  • Weitere Sandsäcke für die Bevölkerung werden zur Verfügung gestellt.
  • Die Lechwerke schalten den Strom für einzelne Haushalte ab, bei vorliegender Gefahrenlage, wie zum Beispiel durch überschwemmte Keller.
  • Die Gemeinde organisiert weitere Notstromaggregate, damit die betroffenen Bürger auch ohne Strom weiter abpumpen können.
  • Noch in der Nacht zum 02.06. steigt der Grundwasserpegel innerhalb von 5 – 6 Stunden sehr stark, das heißt auf 1,5 Meter bzw. Unterkante Erdboden.

Tag 3
Sonntag, 2. Juni 2024

  • Das Hochwasser breitet sich im Ortsgebiet weiter aus.
  • Die Kissinger Feuerwehr wird durch ein Hilfsleistungskontingent unterstützt. Nun rücken andere Feuerwehren an und helfen mit. Die Bundeswehr bringt Sandsäcke
  • Das Wasser dringt auch in die gemeindlichen Gebäude, wie Schulen, Rathaus und Co.
  • Der Pegel der Paar sinkt auf Stufe 1, der Grundwasserpegel steigt weiter
  • Nun ist das Kanalsystem überlastet.

Tag 4
Montag, 3. Juni 2024

  • Schulfrei in Kissing: Die Schulen in Kissing bleiben geschlossen, da keine Schülerbeförderung möglich ist.
  • Das Kanalsystem der Gemeinde ist weiterhin überlastet, daher werden weitere Pumpen eingesetzt um eine Entlastung zu erreichen.
  • Zusätzlich zum Grundwasser steigt der Pegel der Paar wieder leicht.
  • Die Landwirte unterstützen die Gemeinde. Gemeinsam wird weiter zur Entlastung des Kanalsystems im Ort abgepumpt.
  • Das Wasser kann in den Sammler des Zweckverbandes zur Abwasserbeseitigung Obere Paar (AWOP) – Steindorf, Schmiechen, Merching, Kissing und Mering – eingeleitet werden.
  • Zwei weitere Vorsichtsmaßnahmen werden ergriffen:
    • Mobile Toiletten werden in den betroffenen Gebieten aufgestellt.
    • Das Trinkwasser wird regelmäßig kontrolliert.
  • Falschmeldungen auf Social-Media-Kanälen (Facebook) erscheinen: Das Trinkwasser müsse abgekocht werden. Das ist falsch: Über die gesamte Zeit liegen keinerlei Einschränkungen vor, Kissings Trinkwasser bleibt sauber.

Tag 5
Montag, 4. Juni 2024

  • Schule: Der Unterricht in den Kissinger Schulen findet nach nur einem Tag Ausfall wieder statt, während die Schulkeller weiter abgepumpt werden. Das ist wichtig, da sich hier die wichtigen Server- und Technikräume der Schule befinden.
  • Die Wertstoffsammelstelle bleibt überschwemmt.
  • Die Sperrmüllentsorgung wird organisiert: Betroffene Bürgerinnen und Bürger können nun Container bei der Firma Häfele nutzen, um zerstörte Güter zu entsorgen.
  • Der Grundwasserpegel sinkt, allerdings noch viel zu langsam.

Tag 6
Dienstag, 5. Juni 2024

  • Das Kanalsystem bleibt überlastet, weil der Grundwasserpegel noch zu hoch ist.
  • Die Sperrmüllfahrzeuge von der kommunalen Abfallwirtschaft holen in den besonders betroffenen Gebieten im Ort den Sperrmüll ab.
  • Am frühen Nachmittag telefoniert der Bürgermeister mit der Stadt Augsburg und klärt die Ableitung einer höheren Abwassermenge (über die Drosselung hinweg) in einen weiteren Sammler, dem Kanalsystem des Abwasserverbandes Wirtschaftsraum Augsburg am Schwabhof, mit einem Bypass.

Tag 7-10

6. bis 9. Juni

  • Der Katastrophenfall bleibt ausgerufen.
  • Alle Maßnahmen und Hilfen bleiben bestehen, Gemeinde und Hilfsorganisationen befinden sich in ständiger Bereitschaft.
  • Am Wochenende wird zusätzlich die Europawahl durchgeführt, so dass die Bürgerinnen und Bürger trotz Katastrophenfall reibungslos wählen gehen können.
  • Die erneuten Regenfälle am Wochenende werden permanent beobachtet.

Tag 11
Montag, 10 Juni 2024

  • Die Pegel der Paar und Grundwasserpegel sind wieder leicht gestiegen, der Kanal bleibt weiterhin überlastet.
  • Das Landratsamt lädt zum Gespräch mit allen Fachbehörden nach Kissing ein.
  • 18:00 Uhr: Der Katastrophenfall wird aufgehoben, doch was tun mit dem überlasteten Kanalsystem?
  • Entlastung 1: Schnell und unbürokratisch erhalten die Gemeinden Mering und Kissing die Genehmigung, zur Entlastung des Kanals weiterhin in die Wiese abzupumpen.
  • Entlastung 2:  Die Stadt Augsburg stimmt ebenfalls zu, dass weiter mit erhöhter Menge in ihren Sammler am Schwabhof gepumpt werden kann.

Tag 12
Dienstag, 12. Juni 2024

  • Die zusätzlichen Ablaufmöglichkeiten zeigen Wirkung:
    • Der Zulauf im Kanalsammler des Abwasserzweckverbandes (Steindorf, Schmiechen, Merching, Kissing und Mering) hat sich verringert.
    • Wiederholte Messungen im Bereich Abwasser zeigen eine Reduzierung der Kanalbelastung im Ortsgebiet.
Bildung Überprügfung Kanalsystem

Tag 13
Mittwoch, 13. Juni 2024 – die vorläufige Bilanzaufnahme

  • Die Lage im Kanalsystem im Kissinger Ortsgebiet beruhigt sich langsam.
  • Dennoch kann es zu weiteren Störungen in einzelnen Haushalten kommen.
  • Die Pumpen werden die ganze Zeit über Tag und Nacht überwacht.
  • Öltanks: Vorsorglich gewarnt, kommt es bei diesem Jahrhundert-Hochwasser zu keinen Schäden durch Öltanks.
  • Trinkwasser: Vorsorglich wurde das Trinkwasser regelmäßig von den mit der Betriebsführung beauftragten Stadtwerke Augsburg in enger Abstimmung (!) mit dem Gesundheitsamt geprüft.

Warum konnte unser Kanal nicht ablaufen? Wer mehr über dieses Thema wissen will, erhält hier „aktuell und ungeschönt Einblick“ ins Kissinger Kanalsystem.

Autorin: Manuela Krämer | Federkunst

Fußnoten
  1. Öko-Tec Schlauchwall Der Schlauchwall, eine vergleichsweise neue Technologie, ist das einzige luftgestützte, selbstverankernde Hochwasserschutzsystem weltweit. Der Wall aus Gummi bietet eine optimalen Schutz bei langer Distanz, das heißt er kann längere Stücke in Kissing vor Hochwasser sichern. Die Feuerwehr Kissing verfügt über mehrere Schlauchwälle, die sich – jederzeit einsatzbereit – auf Fahrzeug-Anhängern befinden. So können diese schnell vor Ort eingesetzt werden.
  2. Sandsäcke Sandsäcke sind eine bewährte Möglichkeit, Schäden durch Hochwasser zu reduzieren. Richtig gefüllt und platziert, dienen sie als Barriere gegen fließendes Wasser. Weil Sandsäcke nicht hundertprozentig dicht halten, ist es am besten, auf der Trockenseite eine Pumpe zu haben, um eindringendes Wasser zu entfernen. Die Gemeinde Kissing stellt in der ersten Nacht des Hochwassers gleich fertig befüllte Sandsäcke zum Selbstabholen bei der Feuerwehr zur Verfügung.